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Vogelnestwurz und andere Kostbarkeiten

Dieses Jahr blühen im Berner Oberland so viele Orchideen wie schon ewig nicht mehr. Wohl hat das mit dem kühlen und über weite Strecken ausserordentlich feuchten Wetter zu tun. Wenigstens ein Vorteil also hatte der nasskalte Frühsommer 2021. Und so streiften wir immer wieder staunend durch lichte Wälder und feuchte Wiesen und freuten uns über die botanischen Kostbarkeiten und die wahren Kunstwerke, die die Natur uns in diesem speziellen Juni zeigte. Nebst unzähligen Knabenkräutern und Orchis-Arten in den schönsten Lila- und Violettschattierungen bis hin zu Weiss und dem kleinen, dafür umso markanter gezeichneten schwarz-weissen Brandknabenkraut (Neotinea ustulata) haben wir viele der zarten weissen Höswurz-Röschen oder Weisszungen (Pseudorchis albida) sowie zahlreiche Weisse Waldhyazinthen (Platanthera biflora) gesehen, die auch Berg-Breitkölbchen heissen und ebenfalls eine Orchideenart sind. Ausserdem fanden wir sowohl im Gadmertal wie im Suldtal eine überraschend grosse Zahl von Weissen Waldvögelein (Cephalanthera damasonium), über die wir uns ganz besonders gefreut haben. Auch das winzige Herz-Zweiblatt (Listera cordata) trafen wir mehrfach an, das so klein und unscheinbar ist, dass man es kaum gescheit fotografieren kann.

Die verrückteste Orchidee aber, die uns auf unseren Streifzügen durch das Berner Oberland begegnete, ist zweifelsohne der Vogel-Nestwurz (Neottia nidus-avis), der seine Blüten mit zarten Honigduft verrät. Ansonsten sind sie gar nicht so leicht zu finden, denn von weitem sehen sie aus wie verdorrte Holzstücke oder etwas Verwelktes. Erst wenn man genau hinschaut, erkennt man die wunderschönen Formen der einzelnen Blüten an den Stängeln. Und ja, sie sind braun – von einem unscheinbaren caramelfarbenen Hellbraun. Und das macht sie botanisch zu einer ganz interessanten Orchidee. Denn der Vogelnestwurz bildet praktisch kein Chlorophyll. Er ernährt sich von einem Pilz, der wiederum sich aus den Wurzeln von Buchen und anderen Bäumen im Laubmischwald nährt. Der Vogelnestwurz ist ein sogenannter Holoparasit, also ein Vollschmarotzer. Die fleischigen Wurzeln sind vogelnestartig verknäuelt, woher die Orchidee ihren Namen hat, und haben praktisch keine Wurzelhaare, mit denen Nahrung aufgenommen werden könnte. Diese Orchidee wird ausschliesslich durch den Pilz mit Wasser und Nährstoffen versorgt. Es dauert neun (!) Jahre, bis ein Vogelnestwurz zum ersten Mal blüht. Schon verrückt, was für faszinierend komplizierte Organismen die Natur mitunter hervorzaubert!