Wir sehen, was wir erwarten
Wie selektiv doch unsere Wahrnehmung funktioniert – und wie sehr wir oftmals gerade das sehen, was wir erwarten! Das ist mir neulich auf einer Bergwanderung zur Gummfluh im Saanenland wieder bewusst geworden. Beim Abstieg vom Gipfel nämlich begegnete mir eine Bekannte vom SAC, und sie erzählte mir, sie habe wunderschöne rote Waldvögelein gesehen etwas weiter unten im Wald – sie habe drum einen kleinen Umweg gemacht, weil sie gehört hatte, die prächtigen purpurnen Orchideen würden in dieser Gegend gedeihen. Sie sind eigentlich recht auffällig. Einzelne Exemplare können über einen halben Meter hoch werden, und die Blüten, die an lockeren Ähren stehen, werden drei bis vier Zentimeter breit. Sie gelten in der Schweiz nicht als gefährdet, aber dennoch sieht man sie nicht allzu oft – man muss eben schon am richtigen Ort suchen, um das Glück einer Sichtung dieser Schönheiten zu erleben.
Umso grösser war meine Freude, als ich auf dem Rückweg über den Meielsgrund plötzlich im lichten Bergwald etwas Purpurnes aufleuchten sah. Hätte ich die Waldvögelein nicht unterbewusst «auf dem Radar» gehabt nach dem Schwatz mit der Kameradin, ich hätte die Orchideen wahrscheinlich nicht wahrgenommen. Aber das ist mir schon öfters passiert mit Blumen, und manchmal auch beim Pilzlen – dass man etwas dann prompt findet, wenn man darüber gesprochen, es sich vorgestellt, ja das Gesuchte vor dem inneren Auge schon visualisiert hatte. So scheinen uns die Gedanken, ja die Wunschvorstellung mitunter regelrecht ans Ziel zu führen.