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Paradiesische Schönheit

Reinweiss und fast surreal in ihrer Zartheit sprenkeln sie die feuchten Alpwiesen. Wir krakseln und hangeln uns an den Grasbüscheln hinauf, um die Blüten der Paradieslilie (Paradisea liliastrum) aus der Nähe zu sehen. Wie zart ihre Blütenblätter scheinen im Morgenlicht! Wie golden die pollenbeladenen Staubfäden leuchten! Und es sind ganz viele Paradieslilien, die wir an einem Morgen in der ersten Julihälfte an den Hängen des Morgenberghorns im Berner Oberland weitherum verstreut finden. Sie wachsen fast immer einzeln, hier eine und dort eine, so wie wir es vom Türkenbund kennen – nie in dichten Horsten. Es sind recht eigentliche Divas, und die haben gern genug Platz für sich, um jeden Blütenstiel prächtig zu entfalten. Die Blätter sind grasartig und in der Wiese kaum zu erkennen. Nur die Stängel mit den Blüten ragen heraus. Als Gartenblume sind sie nicht so einfach zu kultivieren, gerade weil sie eben gern einzeln wachsen und ihre Ansprüche haben. In einem üppigen Staudenbeet würden sie schlicht untergehen. Manchmal werden sie in Alpen- und Steingärten, manchmal auch in delikaten Kraut- und Mischrabatten als Raritäten kultiviert. Sie eignen sich hervorragend als Schnittblumen, so es denn gelingt, genug davon zu ziehen.

Die Paradieslilien, die wir gesehen haben, wuchsen allesamt auf eher feuchten Steilgrashängen. Besonders scheinen sie abschüssige Couloirs zu schätzen, wo sich im Frühsommer das Schmelzwasser sammelt. Wir haben sie sowohl beim Aufstieg vom Leissigbärgli richtung Brunni gesehen, wie auch später dann beim Abstieg auf dem Weg vom Rengglipass auf der Traverse hinüber zum Mittelberg, wo die prächtigsten Exemplare blühten. Ausserdem sind grössere Mengen an Paradieslilien im benachbarten Suldtal zu finden – vom Pochtenfall den Weg steil hinauf zum Morgenberghorn nehmen, dann wird man praktisch drüberstolpern. Auch im Gadmertal, auf dem Weg von der Tällihütte hinauf zum Sätteli wissen wir von grösseren Vorkommen, die im Juli blühen und schwer zu übersehen sind. Ansonsten sind Paradieslilien vor allem weiter im Süden in den Alpen recht häufig zu finden. Im Berner Oberland kommen sie nicht allzu oft vor, obwohl sie voll frosthart sind.

Die Paradieslilien haben duftende Blüten – dadurch unterscheiden sie sich deutlich von den Graslilien (Anthericum ramosum), die ansonsten recht ähnlich aussehen – die aber eher auf trockenen Wiesen gedeihen.

Die Gattung der Paradieslilien hat eine besondere Geschichte. Denn diese Blumen wurden im Jahr 1811 vom italienischen Botaniker Giovanni Mazzucato entdeckt. Er hat sie in seinem Werk «Viaggio Botanico all’Alpi Giulie» erstmals erwähnt. Und mit dem Gattungsnahmen ehrte er seinen Gönner, den Grafen Goivanni Conte Paradisi aus Modena, der ihm seine botanischen Forschungsreisen sponserte.