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Meine erste Pinguicula

Ich kenne ja einige tausend Pflanzen. Aber ab und zu kommt es vor, dass ich auf ein Blümchen treffe, das ich noch nie zuvor gesehen habe. So neulich bei einer Wanderung zur Geltenhütte hinauf. Beim Aufstieg sah ich es aus dem Augenwinkel heraus, und ich war schon ein gutes Stück weiter hinaufgestiegen, als sich das Bild in meinem Kopf verfestigte. Das muss eine Pinguicula gewesen sein! Da mein Freund zügig unterwegs war (er wollte noch aufs Arpeli an diesem Morgen), liess ich das Blümchen links liegen und stieg zügig hintan. Aber das winzige weisse Blümchen, das aussah, als wäre es aus Porzellan geformt, das liess mir keine Ruhe. In der Hütte googlete ich es dann dann beim Kaffee auf dem Handy – und vergewisserte mich, dass ich tatsächlich eine Pinguicula alpina gesehen hatte. Ich erfuhr, dass der Winzling zu Deutsch Alpen-Fettkraut genannt wird. Es ist eine der seltenen fleischfressenden Pflanzen in unserem Alpenraum. Ha, wie war ich stolz, dass ich so früh am Morgen bei unserem flotten Aufstieg das winzige Wesen erkannt hatte. Ich erzählte es gleich dem Jäger, der bei mir am Tisch sass, und zeigte ihm auf dem Handy das Foto, das ich im Internet gefunden hatte. Jaja, die kommen hier ab und zu vor, brummelte dieser, nicht häufig, aber er habe auch schon welche gefunden. Jaja, die ernährten sich von Insekten.

Keine Frage, dass ich für den Abstieg nochmals den gleichen Weg wählte, obwohl ich eigentlich hatte über den Chüetungel gehen und nach den Edelweiss weiter oben Ausschau halten wollen. Während mein Freund zum Arpeli hinaufstieg, ging ich also der Pinguicula entgegen den Bergweg hinunter. Nun hatte ich es auch eilig, ich rannte beinahe über die Steinstufen, liess Silberwurz und Läusekraut und Anemonen ohne Beachtung am Wegrand weiterblühen. Und schon war ich bei der feuchten Stelle, wo das Schmelzwasser durch niedrige Gräser und Moose auf den Weg herabtropfte. Zum Glück war die Pinguicula noch da! Oh, und erst jetzt sah ich, dass sie gar nicht allein war. Über ein Dutzend der kleinen Pflanzen blühten an dieser feuchten Stelle. Ich betrachtete die weissen Blümchen mit dem gelben Schlundfleck. Merkwürdigerweise sah ich nirgends eine Fliege oder auch nur eine Spur von einem toten Insekt. Ich tippte mit dem Finger auf eines der Blümchen, und wunderte mich, dass es gar nicht klebrig war. Erst da fiel mir auf, wie stark die Blätter klebten. In dichten Blattrosetten lagen sie eng am Boden, und die einzelnen Blätter, die wie lange klebrige Zungen aussehen, dick und feucht, waren an den Rändern leicht angehoben. Sobald ein Insekt klebenbleibt, rollen sie sich ganz ein, ein bisschen so, wie manche Menschen ihre Zunge zu einem Röllchen formen können. Darum heisst das Pflänzchen wohl auch Fettblatt – weil die Blätter so dick sind und von dem klebrigen Sekret fettig glänzen.

Später suchte ich noch mehr Informationen zur Pinguicula und erfuhr, dass die Blätter nebst dem Verdauungssekret, mit dem sie ihre Beute fressen, auch ein Gerinnungsmittel enthalten. Dieses wurde offenbar früher zur Herstellung von Käse verwendet. Auch in der Volksmedizin fanden die Fettkräuter Verwendung, unter anderem zur Behandlung von Wunden und Geschwüren. Dabei macht es offenbar keinen Unterschied, ob man Pinguicula alpina oder aber das gewöhnliche Fettkraut (Pingucula vulgaris) verwendet, da die Inhaltsstoffe praktisch identisch sind. Auch bei Leber- und Magenleiden sowie bei Lungenkrankheiten sollen die Fettkräuter helfen dank der Zimtsäure, die sie enthalten.

Ausserdem las ich über die Pinguicula, dass sie in Gewächshäusern eingesetzt werden, um Blattläuse und weisse Fliegen zu bekämpfen. Manche Pinguicula-Arten werden auch als Zimmerpflanzen gehalten, da die Blümchen ja ausgesprochen hübsch aussehen. Und wer weiss, vielleicht fangen sie nachts sogar die Mücken? In der Natur sind die seltenen Fleischfresser geschützt, aber nun halte ich natürlich bei meinen Pflanzenhändlern Ausschau, ob vielleicht mal eine Pinguicula angeboten wird.

Besonders spannend ist übrigens die Vermehrung der Pinguicula. Hierbei lernte ich mal wieder ein botanisches Wort, dem ich noch nie zuvor begegnet bin, nämlich: das Hibernakel. Oder weiss jemand von euch, was ein Hibernakel ist? Eben. Ich musste es auch googlen. Das ist der vegetative Zustand eines Überwinterungsorgans, wie es vor allem bei Wasserpflanzen und auch bei manchen einfachen Wassertieren vorkommt. Bei diesen Lebewesen überwintert also nicht die ganze Pflanze oder das ganze Tier, sondern es bildet sich eine Art Winkerknospe oder Brutkörper, der sich von der Mutterpflanze oder dem Muttertier loslöst und selbständig überwintert. Aus diesem Hibernakel wächst dann im Frühling ein neues Lebewesen heran. Und dann lernte ich noch ein Wort: Der Hemikryptophyt. So heissen die neuen Pflanzen, die aus einem Hibernakel gedeihen.

Ich versuche mir vorzustellen, wie diese Pinguicula-Hibernakel sich im Herbst aufmachen, um selbständig ein Überwinterungsplätzchen zu suchen. Falls ich so ein Brutzwiebelchen auf dem Weg in sein Winterquartier finden sollte, kann ich euch nicht garantieren, dass ich es dann nicht vielleicht in ein Taschentuch einwickeln und zwecks Beobachten seines weiteren Verhaltens mit nach Hause tragen würde….