Wilde Frauenschuh-Orchideen blühen zu sehen, das gehört mit zum Schönsten und Faszinierendsten für alle, die Freude an Blumenwanderungen haben. Neulich hatten wir das riesige Glück, im Gasterntal oberhalb von Kandersteg nicht nur einzelne Stauden, sondern ganze Kolonien voller blühender Frauenschuh-Orchideen vorzufinden. Es handelt sich bei den wilden Exemplaren im Berner Oberland um den gelben Frauenschuh (Cypripedium calceolus), auch Venusorchidee, Marienfrauenschuh oder Europäischer Frauenschuh genannt.
Unter Blumenfreunden gilt die Regel, die Standorte von geschützten Orchideen nicht genauer preiszugeben – immer mal wieder kommt es vor, dass dreiste habgierige Möchtegern-Gärtner die Stauden ausgraben und stehlen. Das ist zwar streng verboten, und meist gehen die Orchideen dann sowieso ein, denn sie leben in einer komplizierten Symbiose mit Pilzen und können nicht einfach so verpflanzt werden. Aber eben, rücksichtslose Menschen gibt es überall. Also sagt man meistens aus Vorsicht lieber nicht zu genau, wo die Kostbarkeiten zu finden sind. Im Gasterntal allerdings blüht der Frauenschuh so zahlreich und an so vielen Orten, dass es fast unmöglich ist, die grossen Blüten mit der dicken gelben Lippe, dem sogenannten Schuh, und den auffälligen abgespreizten seitlichen Petalen zu übersehen. Man muss einfach nur eine leise Ahnung davon haben, wo Orchideen gerne wachsen: Nicht zu tief im Wald, sondern am Rand, dort wo der Boden recht feucht und das Licht weich und sanft sind. Auf den heissen, sonnigen Bergwiesen braucht man gar nicht zu suchen, und im steinigen Gelände sowieso nicht. Als kleiner Hinweis sei hier noch das Stichwort «Gasterngesicht» verraten. Wer den Weg zu dem bekannten Felsengesicht einschlägt, wird den lichten Bergwald hinauf praktisch über die Orchideen stolpern.
Einige Exemplare haben wir aber auch viel weiter unten direkt an der Kander gefunden, wo sie die hohe Luftfeuchtigkeit des bewegten Wassers zu schätzen scheinen. Ausserdem blühen die Orchideen auch rund um das Restaurant Waldhaus herum, wo man einfach nur herumstreifen kann mit offenen Augen – das ist ein bisschen wie Osternestchen suchen! Es sind so viele Orchideen da, dass man sie wirklich fast nicht übersehen kann. Wobei, wir haben auch Wanderer beobachtet, die ahnungslos daran vorbeigingen. Vielleicht wollten die einfach möglichst schnell in die nächste Beiz. Es haben halt nicht alle die gleichen Interessen…
Oh, und wegen allfälligen Orchideendieben, also im Gasterntal sind zur Zeit der Frauenschuh-Blüte im Juni ordentlich viele Botanikfans unterwegs, die auch eine gewisse soziale Kontrolle ausüben. Also wenn wir jemandem beim Frauenschuh ausgraben erwischen würden, dann würden wir ganz sicher Anzeige machen! Als wir da waren, trafen wir auch einen Wildhüter an, der ganz offensichtlich ein Auge auf die botanischen Schätze hielt. Wer hier tatsächlich mit einem Spaten unterwegs wäre zur Zeit der Orchideenblüte, müsste mit kostspieligen strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Und übrigens, falls jemand von euch wirklich sehr gerne Frauenschuh-Orchideen im Garten haben möchte – man kann sie legal im Fachhandel kaufen. Sie sind teuer, was damit zu tun hat, dass sie schwierig zu vermehren sind. Und sie haben ein Zertifikat, das bestätigt, dass sie aus Zucht und nicht aus Wildbeständen herkommen. Nur solchen Frauenschuh mit klarer, legaler Herkunft darf man mit reinem Gewissen im Garten kultivieren!