Neulich hatten wir das Vergnügen, von Gärtner Paul Brunner durch den Alpengarten auf der Schynigen Platte geführt zu werden. Diese grosse, höchst interessante Anlage ist ja die reinste botanische Arche Noah. Hier werden auf gut 8000 Quadratmetern etwa 750 der ingesamt im Alpenraum vorkommenden 900 Pflanzenarten gezeigt. Rund ein Drittel davon ist in der Natur bereits gefährdet, weil immer mehr Blumenwiesen verganden oder überdüngt werden. Umso wichtiger ist der Alpengarten. Botaniker sammeln im ganzen Schweizer Alpenraum Samen wilder Seltenheiten, und vermehren sie hier. Hinter dem Haus gibt es eine Anzuchtstation, wo die Sämlinge kultiviert werden. Nebst Forschung und Lehre geht es auf der Schynigen Platte eben auch darum, selten gewordene Alpenpflanzen zu erhalten und mehr Wissen zu gewinnen über die Kultivierung von Alpenpflanzen. Wie alle wissen, die im Garten schon mal Enzian oder Edelweiss ausgesät haben, ist das gar nicht so einfach. Die alpinen Kostbarkeiten brauchen sehr spezifische Bedingungen, und diese weiter zu erforschen, ist letztlich auch für die längerfristige Erhaltung möglichst vieler Arten von grosser Bedeutung.
Auf der Schynigen Platte werden alle Pflanzen in natürlichen Gemeinschaften gezeigt. Diese bestehen zum Teil schon seit bald 100 Jahren. Mitunter werden sie mit kleinen Einpflanzungen angereichert, um eine weitere Art hinzuzufügen, die anderswo im Schweizer Alpenraum in einer entsprechenden Gemeinschaft vorkommt. Es gibt eine Blaugrashalde, eine Rostseggenhalde und Zwergstrauchheiden, ein Alpines Flachmoor, ein Schneetälchen, verschiedene Fels- und Geröllbereiche, diverse Arten von Bergwiesen und Sträuchergemeinschaften sowie eine windige Ecke mit Pflanzen, die bevorzugt auf exponierten Kreten gedeihen. Ein besonders faszinierender Bereich des Gartens heisst «Riviera» und ist den Pflanzen aus den südlichen Alpengebieten der Schweiz gewidmet. Hier blühen Jupiter-Lichtnelken, Schweizer Schöterich, Feuerlilien, seltene Pfingstrosen aus dem Tessin und der legendäre Affodil – den wir hier zum ersten Mal überhaupt in voller Blüte erleben durften. Lehrreich ist der Alpengarten auch für alle, die sich mit Heilkräutern befassen. Diesen ist ein eigener Bereich gewidmet, wo Rosenwurz, Süssdolden, Arnika, Allermannsharnisch und Bibernell neben dem heutzutage vor allem bei Burnout eingesetzten Meisterwurz wachsen. Wie besagte doch das alte Apothekersprichwort so treffend: «Meisterwurz und Bibernell – dann stirbst du nicht so schnell.»
Der Alpengarten auf der Schynigen Platte wurde im Jahr 1928 erbaut. In jener Zeit herrschte bei den englischen Touristen eine grosse Pflanzenbegeisterung. Die Besucher bauten bei sich daheim Steingärten nach und versuchten, die alpinen Seltenheiten selber zu kultivieren. Bis heute lebt diese Tradition fort in der englischen «Alpine Garden Society», deren Mitglieder ebenso wie Botanikfans aus aller Welt lehrreiche Ausflüge auf die Schynige Platte unternehmen. Die wissenschaftliche Betreuung des Gartens liegt seit der Gründung und bis heute jeweils in den Händen eines Botanikers der Universität Bern.